Umnachteter ESM-Beschluss: Verrat an Deutschland

Ein deprimierter, höchst verärgerter und nicht bissfreier Kommentar eines Bundesbürgers zum Gebahren seiner Regierung und „Volksvertreter“

Sackgasse ESM - Abzweig DemokratieBundestag und Bundesrat haben den ESM mit überwältigender Mehrheit verabschiedet — mit jeweils über 80% der Stimmen, allerdings ohne Kanzlermehrheit: eine kleine aber feine Ohrfeige für unsere Staats-Chefin, bzw. wie ich und viele Andere es sehen: Verräterbande!
Die abends nach 17 Uhr zum Ultimo-Termin am Freitag, dem 29. Juni 2012 vor der parlamentarischen Sommerpause und dem ursprünglich geplanten Inkrafttreten am 1. Juli 2012 durchgepeitschte 2. und 3. „Lesung“/„Beratung“ (wobei die dritte nicht wirklich stattfand) der Gesetzesvorhaben zum ESM und Fiskalpakt war eine Farce. Nach kräftigem Geschachere in den Wochen zuvor hatten es die im Parlament zahlenmäßig übermächtigen Befürworter nicht mehr nötig, auf die eigentlichen konkreten Inhalte einzugehen, sondern faselten im Wesentlichen inhaltsleer von „Verantwortung für Europa“.
Im Bundesrat, den Merkel noch von 22 Uhr bis Mitternacht antreten ließ, um ihre Pläne abzunicken, sind alle Bundesländer-Vertreter bis auf das von SPD und Linken geführte Brandenburg schäbigst verlogen eingeknickt, nachdem Schäuble ihnen ein paar Tage zuvor aus offensichtlich rein taktischer Motivation noch wohlschmeckende Geldgeschenke verabreicht hatte. Ich habe mir nicht mehr angetan, die „Beratung“ unter dem Vorsitz des Ober-Umfallers Seehofer dort noch mit zu verfolgen, aber eine Freundin meinte, dass es ein grauenvolles Theater war.

Die Debatte im Bundestag habe ich übers Internet live verfolgt; sie kann wie üblich jederzeit wieder angesehen werden. Der von Frau Enkelmann anfangs vorgebrachte Antrag, die Abstimmung über ESM und Fiskalpakt angesichts der inakzeptablen Desinformations- und Überrumpelungspolitik gegenüber den Parlamentariern zu verschieben, wurde niedergebügelt.
Von dem teils länglichen Gesülze (und ein paar parteipolitische Seitenhieben) aus den Reihen der Partei-Führer (Merkel, Schäuble, Gabriel, Brüderle, Trittin) ist mir praktisch nichts in Erinnerung geblieben, außer seitens der SPD immerhin die sehr angebrachte Rüge an Merkel, sie habe aus taktischen Gründen die parlamentarische Beratung zum ESM sträflich verzögert.
Der rhetorische Star des Abends war in meinen Augen Sahra Wagenknecht (Linke), von der alle sehr treffend ihr Fett abbekamen:

  • CDU/CSU: „[…] Jetzt zerstören Sie den Wohlstand von Millionen. Sie nehmen den Armen das Brot, weil Sie zu feige sind, den Reichen das Geld zu nehmen. Halten Sie das für christlich?“
  • FDP: „Dass ein Staat private Verluste sozialisiert, wenn die Betroffenen nur reich und einflussreich genug sind, das ist alles, aber kein Liberalismus! Wollen Sie das wirklich vertreten?“
  • SPD: „Sie tragen das ’sozial‘ und ‚demokratisch‘ im Parteinamen. Sie haben sich an diesem Anspruch in den letzten Jahren schon oft genug versündigt mit der Agenda 2010, mit der Deregulierung der Finanzmärkte, mit Hartz-IV, mit der Zerschlagung der gesetzlichen Rente. Aber Knebelverträgen zuzustimmen, mit denen Sozialstaat und Demokratie in Europa endgültig zu Grabe getragen werden, das heißt, die Agendapolitik in Deutschland mit Ewigkeitsgarantie zu versehen. […]
  • an alle: „Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie wurden als Abgeordnete auf Basis unseres Grundgesetzes gewählt. Wenn Sie noch ein Gewissen haben ‑ als Demokraten und als Europäer ‑, dann, bitte ich Sie, folgen Sie diesem Gewissen und stimmen Sie heute mit Nein.“

Die streitbaren Helden des Bundestages waren die Vertreter der relativ wenigen aufrechten Demokraten, die von ihren Parteigenossen schlicht „Abweichler“ genannt werden und ihn ihren fundierten kritischen Redebeiträgen wirklich noch auf die ESM-Inhalte eingingen: Frank Schäffler (FDP), Peter Danckert (SPD), Peter Gauweiler (CSU) und Klaus-Peter Willsch (CDU), der seine ausgezeichnete Analyse zum ESM in auch Textform veröffentlicht hat. Juristisch brillant gegen Fiskalpakt und ESM auch Gregor Gysi (Linke).
Es gab immerhin einen Befürworter, nämlich Ralph Brinkhaus (CDU), der ausdrücklich einräumte, dass ESM und Fiskalpakt große Opfer bedeuten nicht nur an Finanzen, sondern auch Souveränität, weshalb ihm die Zustimmung nicht leicht falle.
Wenn er nicht so ausgesprochen gute Miene zum bösen Spiel gemacht hätte, würde ich auch Parlamentspräsident Lammert Hochachtung zollen, weil er trotz des extrem langen Sitzungstages von 9 bis 22 Uhr weder an Professionalität noch an Humor nachließ (und etwa seine Schäfchen mit dem väterlichen Rat in die Sommerpause entließ, nicht zu weit rauszuschwimmen, auch weil er sie möglicherweise relativ kurzfristig zwischendurch wieder zusammentrommeln müsse).

Die allermeisten Parlamentarier der CDU/CSU (der ich bis ca. 2008 noch meine Stimme gegeben hatte) und FDP, SPD und Grüne stimmten für die Fortführung der idiotischen und katastrophalen „Rettungsschirm“-Politik — bis die Linksfraktion, welche als Einzige geschlossen dagegen votierte. Die Linken haben bei mir dadurch gewaltig Sympathiepunkte gesammelt, allerdings sind sie für mich wegen ihrer ineffizienten und atheistischen (Wirtschafts-)Ideologie nicht wählbar. Damit ergibt sich die Frage: Wen kann ich denn nun noch wählen? Okay, wohl eine der kleinen bislang gar nicht vertretenen Parteien, die sich (noch) nicht groß die Hände schmutzig gemacht haben. Wobei sich die Frage faktisch erübrigt, sobald die Selbstentmachtung des Bundestages durch die — zunächst verweigerte — Unterschrift des Bundespräsidenten und Hinterlegung in Brüssel verbindlich wird.

Gut drei Wochen später verglich die CDU-Politikerin aus Thüringen Vera Lengsfeld den Bundestag mit der DDR-Volkskammer, die nichts zu sagen hatte. In der Tat kann man sich fragen, wofür wir uns einen Zoo von über 600 Stück Stimmvieh halten (oder wie es ein oberbayrischer Bekannter so nett ausdrückt: „Abnickdackel“). Jedenfalls größtenteils Schwachköpfe und Schlappschwänze, die blind ihrer Parteiführung folgen, statt ihren Verstand und ihr Gewissen einzuschalten, und wo ich mich bei vielen frage, wie sie ihren Doktortitel bekommen konnten. Ein Zehntel des ganzen Haufens wäre für derart ‚qualifizierte‘ Abstimmungen mehr als ausreichend. Wenn man dabei irgendwie die besten 60 (von mir aus auch unter Einhaltung des Parteien-Proporzes) selektieren könnte, wäre das nicht nur eine sinnvolle Einsparung von Steuermitteln, sondern sogar eine deutliche Qualitätsverbesserung.

Es ist zum Haare raufen: Diejenigen, die zur Vertretung unseres Volkes und seiner Interessen gewählt und verpflichtet sind, wollen für eine verdrehte Euro-Monster-Ideologie unsere Finanzmittel, Souveränität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (bzw. was davon noch übrig ist) verschleudern!
Auch wenn die meisten Menschen es (noch) nicht verstehen oder wahr haben wollen: Das war ein kalter Putsch gegen das Grundgesetz — falls er durchkommt, wird der GAU für Deutschland, die Zersetzung der Demokratie, nicht mehr aufzuhalten sein.
Und was macht der Großteil der Bevölkerung? Er geht baden — nein, nicht nur in Baggerseen ob der hochsommerlichen Temperaturen in der Woche der Abstimmung — und kommt vom Regen in die Traufe, vorerst allerdings noch ohne es überhaupt zu merken.

Was mich sehr frustriert hat: Unsere eurotisch verblendeten Mainstream-Politiker machen was sie (bzw. ihre von einer absurden Form der Euro-„Rettung“ besessenen Vorkauer) wollen und scheren sich dabei einen Scheißdreck darum, was die — größtenteils noch ehrlich arbeitenden und brav zahlenden — Bürger wollen. Wie auch eine YouGov-Umfrage von Anfang September zeigte, ist eine Mehrheit der Bundesbürger gegen den ESM, die Übertragung weiterer Kompetenzen an Brüssel und die unverantwortliche Politik Draghis in der EZB. All die zahlreichen Warnungen und Petitionen seitens des Volkes haben sie in den Wind geschlagen. Auf diesem Wege lassen sich die Wahnsinnigen also nicht zur Vernunft bringen, oder auch ’nur‘ das zu tun, was die Mehrheit im Land eigentlich will.
Wenigstens unser Verfassungsgericht hätte sie noch gehörig in die Schranken weisen können. Auch wenn sich Verfassungs-Verdrängler Schäuble öffentlich erdreistete, das hohe Gericht inhaltlich und terminlich unter Druck setzen zu wollen und sich auch sonstwo in Europa sich Manche über die deutsche Gründlichkeit ärgerten, ist sie so wichtig wie nie. Rainer Hank schrieb in der FAZ: Deutsche Verfassungsrichter lassen sich von niemandem unter Zeitdruck setzen: Entschleunigung heißt ihre Devise. Endlich gibt es wieder Hoffnung in der Euro-Krise. Die Verkündung der vorläufigen „Eilentscheidung“ wurde auf den 12. September festgelegt, und es sollte ein Tag weiterer Enttäuschung werden: Die Richter ließen den ESM- Vertrag im Wesentlichen durchgehen. Zwar mit ein paar großzügigen Einschränkungen, aber die sind schon in der Masse der vielen Worte leicht zu übersehen und werden höchstwahrscheinlich ignoriert oder umgangen. Das Gericht sah nicht die Möglichkeit bzw. hatte nicht den Mut, sich ernsthaft gegen den Euro-Sog zu stemmen und zumindest dieses üble und die Demokratie verhöhnende Machwerk gebührend durchfallen zu lassen. Stattdessen lassen uns die höchsten Richter im Stich und schoben die Verantwortung ganz politisch korrekt wieder der Regierung zu.

[Merkel zum ESM und Fiskalpakt: Das Grundgesetz nervt]

Schon eine Woche vor der ESM-Verabschiedung im Bundestag hatte Heribert Prantl in der SZ kommentiert: „Die Europa-Politik der Kanzlerin missachtet und beleidigt das Bundesverfassungsgericht“. Diesmal waren es nicht nur sie, sondern der weitaus größte Teil der Parlamentarier und Ländervertreter. Dieter Stein schrieb dann ein paar Tage danach in der JF: „Entsetzen beschlich, wer am vergangenen Freitag die Bundestagsdebatte und Abstimmung über den ESM verfolgte. Man sah ein Parlament, das sich aufgegeben hat. Mit einer Mischung aus lässiger Routine und launiger Feierabendstimmung wurde am späten Abend ein Monster-Vertrag durchgewinkt, der dem Bundestag die Hoheit über sein Budget nimmt und Deutschland der Haftung und Erpressung anderer EU-Schuldenstaaten ausliefert. […] Am vergangenen Wochenende ging über der Hauptstadt ein „Jahrhundertgewitter“ mit 8.000 Blitzen nieder. Am Fenster stehend, glaubte man in ein Inferno zu blicken. Indes ist es beängstigend, wie geräuschlos die Abwicklung Deutschlands über die Bühne zu gehen scheint. Oder erleben wir nur die Ruhe vor dem Sturm?“

Was blieb einem am Spätabend des 29. Juni 2012, des bislang schwärzesten Freitages in der Demokratie-Geschichte der Bundesrepublik — nicht nur in Anbetracht der späten Stunde — da noch zu sagen außer: Gute Nacht Deutschland.

3 Gedanken zu „Umnachteter ESM-Beschluss: Verrat an Deutschland

  1. Sehr treffend und mir aus tiefstem Herzen sprechend. Danke für deinen Einsatz!
    Ähnliches hatte ich begonnen, an die Bundeskanzlerin in der Open Petition Initiative zu verfassen. Dies wurde wegen NICHTBEACHTUNG DER NETIQUETTE gestrichen. Denn heutzutage muss man „politisch correct“ sein. Wo haben wir denn noch Demokratie, wenn die Wahrheit heute schon nicht mehr ohne Repressalien fürchten zu müssen, gesagt werden darf?

    Eine ebenso verärgerte Bürgerin

  2. Pingback: Bundestagswahl 2013: Versagen der Altparteien – nun gibt es eine echte Alternative für Deutschland: die AfD | EuroWahnsinn

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